Beim Schneeschippen an der Kleinbahn erfror ich mir bei eisigem Ostwind mehrere Finger der rechten Hand. Daraufhin konnte ich einige Tage im Lager bleiben. Leider war mir bei der Gelegenheit meine Brille entzwei gegangen, den schnelle Temperaturwechsel zwischen minus 45 Grad außerhalb des Lagers und den ca. 10 Grad plus in der Sanitätsbaracke hatten die Scharniere nicht verkraftet und waren einfach gebrochen, außerdem war ein Glas beim Herabfallen gesprungen. Mit Fäden und später mit etwas Draht konnte die Brille provisorisch nutzbar gemacht werden. Nach einigen Tagen marschierte ich trotz der Erfrierungen wieder mit in den Wald. Auch der Heilige Abend war Arbeitstag, nur der 7. November und der 1. Mai waren arbeitsfreie Tage. Hatte das ganze Lager das Soll nicht erfüllt, wurde auch Sonntag für Sonntag gearbeitet.
Nach einigen Wochen bekam ich Durchfall mit hohem Fieber, sodass ich von einigen Tagen in der Isolierbaracke keine Erinnerung habe. Ich wurde mit einigen anderen Kranken zum Transport in ein Krankenlager ausgesucht. Ein Patient starb plötzlich, erst dann sollten wir anderen schnellstens ins Krankenlager. Natürlich waren die ca. 15 Kilometer zu Fuß zurück zu legen. Der Sarg lag auf einem Pferdeschlitten, wer nicht mehr laufen konnte, durfte sich zeitweilig auf den Sarg setzen.
Im Krankenlager 038 lagen wir wie die Heringe nebeneinander in zweistöckigen Holzverschlägen. Jeder hatte eine dünne Wattematratze und eine Decke. Ungefähr 50 Kranke lagen in einem Raum von ungefähr 40 qm, viele Patienten, besonders nach Erfrierungen, hatten eitrige Wunden. Alle paar Tage machte ein russischer Arzt Visite, zu unserem großen Glück gab es auch einen Berliner Arzt, Dr. Lölke, der uns stets Mut machte und uns rührend betreute. Ein Sanitäter sorgte für Sauberkeit und verteilte die Verpflegung. Diese war gegenüber dem Arbeitslager noch weiter gekürzt: „Wer nicht arbeitet, braucht auch nicht zu essen!“ Dafür stand uns aber täglich eine Tasse Milch zu, die aber meist eine recht undefinierbare Farbe hatte, weil sie auf dem langen Wege bis zum Kranken immer mehr Verdünnung erfuhr!
Alle 10 Tage musste gebadet werden, dabei wurden sämtliche Körperhaare entfernt. Dies half gegen Flöhe und Wanzen leider auch nicht. Im Krankenlager war man nur mit Unterhose und Hemd bekleidet, wahrscheinlich wegen der Ungeziefergefahr. Da die Verpflegung so wenig war, dass man ständig Hunger fühlte, träumte man nachts oft vom guten Essen. Wie stark die Enttäuschung, wenn man erwachte und feststellte, dass es noch Stunden dauerte, bis es das nächste Stück Brot gäbe! Meine Erfrierungen wurden eigentlich nie behandelt. Erst als ich schon aus der Krankenabteilung in die Arbeitszone verlegt war und in der Schmiede am Blasebalg arbeitete, stellte man fest, dass die Fingerkuppe nicht zu retten sei. Daraufhin wurde mir von einem Sanitäter der hervorstehende Knochen einer Fingerkuppe ohne Betäubung „abgeknipst.“