Ulrich Kilger, Student der Pädagogik an der Universität Leipzig, durch ein Sowjetisches Militärtribunal in einem politischen Willkürprozess zu 25 Jahren Zwangsarbeitslager verurteilt, Lagerhaft bei Bratsk.

Mit Zwischenstationen in den Zuchthäusern Brest-Litowsk und Gomel gelangten wir nach Moskau, wo ich von meinen zwei Meuselwitzer Kameraden getrennt wurde. Diese traten den Weg in die Schächte von Workuta an. Fünf weitere Deutsche rollten vom Moskauer Bahnhof aus mit mir in Richtung Ural, über Ufa, Tscheljabinsk und Nowosibirsk gelangten wir nach Wochen nach Taischet an der Transsibirischen Eisenbahn. Eine Etappe zwischen den verschiedenen Zuchthäusern währte stets mehrere Tage, dabei waren meist 18 Gefangene in einem Abteil zusammengepfercht. Die Toilettenverhältnisse waren unbeschreibbar, als Verpflegung gab es nur Brot und gesalzenen Fisch, dabei nur einmal am Tage einen Becher Wasser. Dazu kam die ständige Bedrohung durch Platnois (Verbrecher), die natürlich unsere mitteleuropäische Kleidung, sogar mit physischer Gewalt, an sich bringen wollten.
Im Sammellager Taischet arbeitete ich vom ersten Tage an in der Kaltwasserversorgung des Bades. Vor dem Frühstück mussten wir erst etwa 60 schwere Eimer aus einem Tiefbrunnen hochleiern und ausleeren, bei Temperaturen unter 25 Grad minus. Dann erst durften wir unser Frühstück einnehmen, das aus einer undefinierbaren Suppe und einer „Paike“ (Trockenbrot) bestand. Bei dieser Arbeit gab es die ersten Erfrierungen, da wir noch keine Wattesachen und Filzstiefel hatten.
Anfang Dezember 1952 ging das ganze Lager auf „Etappe“, das bedeutet, je 64 Menschen wurden in einen ungeheizten Güterwagen (18 Tonnen) gezwängt, in dem 4 Pritschen waren. Die Fahrt währte 2 Tage und 3 Nächte, die zurückgelegte Strecke betrug allerdings nur hundert Kilometer. Brennmaterial gab es nur wenig, außerdem keine warme Verpflegung. Wer längere Zeit an der Außenwand des Waggons stehen mußte, trug unweigerlich Erfrierungen davon. Am schlimmsten traf es Kranke und Amputierte, die nur auf den Pritschen an der Außenwand liegen konnten. Bei ca. 50 Grad Kälte wurden wir in der dritten Nacht ausgeladen, als Letzter flog ein Oberschenkelamputierter wie ein Bündel in den vor Kälte knirschenden Schnee. Aus dem Lager 01 an der Bahnstrecke Taischet-Bratsk marschierte nach einigen Tagen ein Trupp von 30 Gefangenen in das etwas abseits gelegene Waldlager 035, wo ungefähr 300 Insassen waren. Auf einem für vier Mann vorgesehenen Holzgestell erhielt man einen Schlafplatz, eine zu kurze, dünne Decke und weiter nichts. Die Filzstiefel waren in eine Trockenkammer in der Baracke zu deponieren; wehe dem, dessen Filzstiefel in der Nacht nicht trocken wurden, der konnte sich am nächsten Tag mit einiger Wahrscheinlichkeit Zehen oder Füße erfrieren.