Ulrich Kilger, Student der Pädagogik an der Universität Leipzig, durch ein Sowjetisches Militärtribunal in einem politischen Willkürprozess zu 25 Jahren Zwangsarbeitslager verurteilt, Lagerhaft bei Bratsk.

 

Dieser junge Mann hatte mich von Westberlin aus noch einmal in Leipzig besucht. Später ist er verhaftet und zur Nennung von Namen aus seinem alten Bekanntenkreis gezwungen worden. Diese Bekanntschaft wurde vom Untersuchenden als Spionage bezeichnet. Zum Schluss des Verhörs eröffnete man mir, dass ich ein Verbrecher sei.
Bei Einbruch der Dunkelheit kam ein „Blechwagen“, in dessen Einzelzelle ich nach Potsdam gefahren wurde, auch andere Gefangene scheinen im gleichen Wagen mit transportiert worden zu sein. Die Fahrt ging nach Norden, dies merkte man an den Ausweichstellen bei zerstörten Brücken der Autobahn. Die Tour endete in einem Kasernengelände, ein hoher Bretterzaun mit Wachtürmen an den Ecken, alles taghell beleuchtet. Wie es hieß, waren wir in Potsdam in der Mierbachstraße. Das Gebetsläuten einer naheliegenden Kirche grüßte uns jeden Tag und teilte ihn uns ein.
Nach intensivem „Filzen“ wurde ich in Zelle 22 eingeliefert, in der ein russischer Oberleutnant namens Moruschkin auf sein Urteil wartete. Am nächsten Vormittag kam ein Posten mit einer Haarschneidemaschine und sämtliche Kopfhaare fielen mir auf die Knie. Diese Prozedur wurde alle 10 Tage beim sogenannten Baden am ganzen Körper wiederholt.
Mitten in der Nacht, längst nach „Otboi“ (Zapfenstreich) wurde ich aus dem Schlaf gerissen und von einem Posten mit MP ins Zimmer eines Untersuchungsrichters gebracht, das in einem anderen Gebäude lag. Das Zimmer war zunächst unbesetzt, nur ich saß auf einem Stuhl und nickte langsam ein. Plötzlich strahlte mich ein greller Scheinwerfer an und eine Stimme aus dem Dunkel brüllte: „Wer hat Waffe gehabt?“ Ich konnte ruhig antworten: „Ich weiß es nicht!“ Ein mit mir verhafteter Meuselwitzer hatte als Zwölfjähriger eine Pistole mit noch einer Kugel aufgesammelt, die vielleicht ein Landser weggeworfen hatte, der für sich den Krieg beendete. Diese Pistole und ein handgefertigter Gummiknüppel (eine Kirschplantage sollte nachts bewacht werden!) waren die „Beweismittel“, mit diesen Waffen sollten wir sieben Angeklagten einen Aufstand gegen die Rote Armee vorbereitet haben. Dazu wurde jegliches Gespräch unter Freunden vom Untersuchungsrichter als „Anti-Sowjethetze“ bezeichnet und so notiert. In der Abiturklasse war z.B. über die mangelnde Ernährung diskutiert worden, und ein Junge hatte dazu bemerkt: „Wir müssen ja auch die 500.000 Sowjetarmisten miternähren!“ Darauf der Einwurf eines Mitschülers: „Es sind sogar 700 000 Russen!“ Diese banalen, möglicherweise wahrheitsgemäßen Äußerungen brachten uns allen die Spionageanklage ein! (Weitergabe von Truppenstärken!)